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Obsorge & Corona

Beitrag von Mag. Ulrich Wanderer


Wie selten zuvor beherrscht das Thema Corona seit nun bald 18 Monaten die Medien und führt auf vielen Ebenen zu Diskussionen und Streitigkeiten. Spätestens seit der Freigabe der diversen Impfpräparate für Minderjährige ab dem 13. Lebensjahr wird die Frage der Zustimmung seitens der obsorgeberechtigten Eltern virulent und kann in meist ohnehin bereits eskalierten Obsorgestreitigkeiten noch zu weiteren Verschlechterungen der Gesprächskultur zwischen den Eltern führen. Die elterliche Verantwortung, die durch den Begriff der Obsorge ausgedrückt wird, gliedert sich grundsätzlich in vier Säulen: Pflege und Erziehung, Aufenthaltsbestimmung, rechtliche Vertretung und Vermögensverwaltung. Die Entscheidung über eine ärztliche Behandlung (jede Impfung) fällt unter den Themenbereich der „Pflege und Erziehung“. Tragen beide Eltern die Verpflichtung der Obsorge, kann jeder Elternteil auch alleine eine Entscheidung bezüglich einer ärztlichen Heilbehandlung wie einer Impfung treffen und braucht nicht das Einvernehmen des anderen (wie gelegentlich der irrtümlich verwendete Ausdruck der „geteilten Obsorge“ suggerieren würde).

Im Streitfall

Nun machen die Grenzen hinsichtlich der Corona-Impfungen nicht vor dem Familienumfeld oder dem Drei- bzw. Mehrgestirn Mutter-Vater-Kind(er) halt. Das Impfthema kann bereits in intakten Familien einen Keil zwischen die Eltern treiben, doch stellt sich diese Frage im Falle einer angespannten Ex-Beziehung der Eltern umso mehr. Entscheidet beispielsweise der obsorgeberechtigte Elternteil, der im Rahmen der Kontaktrechtsregelung einen Nachmittag mit dem 13-jährigen Kind verbringt, kurzfristig, eine Impfbox aufzusuchen, liegt dieses Vorgehen grundsätzlich im Rahmen des Erlaubten. Probleme entstehen jedoch, sollte der andere – hauptunterkunftgebende – Elternteil der Impfung ablehnend gegenüberstehen. Aus Sicht des erstgenannten Elternteils wird eine dem Kindeswohl förderliche ärztliche Heilbehandlung vorgenommen, während der andere Elternteil die Gesundheit des Kindes langfristig gefährdet sieht. Somit entsteht der absurde Fall, dass beide Elternteile auf Basis der „körperlichen Integrität des Kindes“ im Sinne des § 138 Ziff 2 ABGB argumentieren und doch exakt gegensätzliche Erwartungen an das Ergebnis haben.

Konfliktträchtige Konsequenz

Wird von beiden Seiten mit der Wichtigkeit der eigenen Überzeugung in Bezug auf das Kindeswohl argumentiert und der jeweils anderen Seite eine zumindest fahrlässige Gefährdung der Gesundheit des Kindes unterstellt, so stehen die Weichen auf Eskalation. Entweder führt der Weg an das zuständige Bezirksgericht, wo ein Antrag auf alleinige Obsorge durch die Gefährdung des Kindeswohls begründet wird und Gutachten die eine oder andere Position untermauern. Die Spaltung der Gesellschaft setzt sich somit auch im innerfamiliären Bereich fort, wobei aus der jeweiligen Sicht die Argumentation ebenso wie auch das Engagement vor dem Hintergrund der Sorge um das Kind verständlich ist.

Ausweg?

Die eskalierenden Argumente eines Obsorgeverfahrens machen es schwer, den Weg zurück zu einer kooperativen Elternschaft zu finden. Im Gegensatz zu vielen anderen Konfliktthemen rund um das Kindeswohl ist die Frage, ob die Impfung im Sinne des Kindes ist oder eine unverantwortliche Gefahr für die Zukunft des Kindes darstellt, ein kaum zu überbrückbarer Graben. Der Versuch, mit wissenschaftlichen Daten zu argumentieren oder externe Expertisen als Entscheidungsgrundlagen heranzuziehen, kann unter der Voraussetzung helfen, dass die Eltern sich auf diese Vorgehensweise im Sinne des Kindeswohls einigen können. Ob ein Gerichtsverfahren, eine Familienberatungsstelle oder auch Mediation den Weg zur geringstmöglichen Schädigung des Kindeswohls ist, bleibt offen.

18. August 2021



Mag. Ulrich Wanderer

ist seit 2007 selbständiger Mediator in Wien, Niederösterreich und Kärnten. Spezialgebiete: Nachbarschafts-, Familien-, Erbschafts- sowie Datenschutzmediation. Er ist Lektor an der FH Kärnten und Gastvortragender an der Universität Wien. Zudem ist er als Jurist in Familienberatungsstellen und an Bezirksgerichten tätig. Zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Mediation und des Familienrechts, Vortragstätigkeit zu unterschiedlichen Themen.

© Ulrich Wanderer

 

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